Anna Gutbier, die zweite Frau von Karl

Anna Gutbier ist Oma Anna für mich, obwohl meine eigentliche Oma Theresia hieß. Die habe ich aber nie kennengelernt, weil sie schon 1928 bei der Geburt ihres vierten Kindes verstorben ist. Oma Anna ist nun auch schon seit 39 Jahren nicht mehr unter uns, und heute möchte ich sie ein Stück weit  besser verstehen. Deshalb sammle ich hier Erinnerungen an sie. Der Artikel soll weiter wachsen.

Anna Maria Gutbier, am 4.10.1900 in Bodenrode geborene Schneider, gestorben am 15.6.1985 in Bodernode

Anna Schneider heiratet den Wittwer Karl Gutbier

Wenige Tage vor ihrem 29. Geburtstag, heiratete Anna Maria Schneider den Witwer Karl Gutbier am 26.1.1929, der gleich zwei Töchter aus Heiligenstadt mitbrachte.

Von Anna berichtet man, dass sie ein “gutes Herz” für Menschen zeigte, denen es nicht so gut ging. Sie hatte zwei jüngere Brüder, Alfred Schneider und Josef Schneider, von denen mindestens einer sehr hinter den jungen Frauen her war. Daraus soll auch mindestens ein uneheliches Kind entstanden sein, was damals, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, für die Frauen und die Kinder als schwerer Makel angesehen wurde. Anna soll diese Frau regelmäßig unterstützt haben. Sie schämte sich ein wenig für ihren Bruder.

Dorothea Elisabeth Schneider, am 19.10.1865 als Dorothea Elisabeth Flume in Bodenrode geboren, bewohnte das Haus am sog. “Flumberg” in Bodenrode. Zusammen mit ihrem Mann, Heinrich Schneider, den sie 1897 in Bodenrode heiratete. Das Haus war ein altes zweigeteiltes Bauernhaus mit Scheune und kleinen Stallungen auf einem großen Grundstück zur Selbstversorung mit Obst und Gemüse.

Heinrich und Dorothea Schneider mit Sohn Joseph und Tochter Anna vor dem Haus auf dem Flumberg

1929 wohnte die Mutter mit ihrer noch unverheirateten Tochter Anna Maria allein in diesem Haus. Die beiden Brüder waren schon ausgezogen. Man vermutet, dass sich Anna auch von ihrem “guten Herzen” leiten ließ, als sie von Karls Witwer-Schicksal mit den beiden zwei- und vierjährigen Kindern hörte, die er weggeben musste. So kam es sehr schnell zur Hochzeit mit Karl. Nur 5 Monate nach dem Tod seiner ersten Frau Theresia, konnte er seine beiden Töchter Katharina (4 Jahre) und Martha (2 Jahre) wieder zu sich holen – aus Heiligenstadt aufs Dorf im Bodenrode. Anna kümmerte sich von Anfang an rührend um die beiden Mädchen.

Es wird berichtet, dass es der Mutter Dorothea Elisabeth gar nicht recht war, dass ihre Tochter einen Witwer heiratetete. Und auch nicht, dass sie vorher mit 28 noch immer nicht verheiratet war. Das nun gemeinsame Leben mit der neuen Familie im Haus soll zu einigen Konflikte mit der Mutter geführt haben. Jedenfalls war Anna am Ende Allein-Besitzerin des Hauses am Flumberg.

Anna und Karl bekamen noch drei weitere Kinder

Mit Karl bekam sie am 27. Februar 1930 den ersten Sohn Josef Gutbier. Ein Jahr später an 7.10.1931 die Tochter Karola Gutbier, und gut 5 Jahre später, am 8.3.1937 ihren Sohn Heinrich Gutbier. Die beiden Karl-Kinder hatten jetzt 3 jüngere Geschwister mit denen sie am Flumberg groß wurden.

Karola, Heinrich und Josef Gutbier

Selbstversorgung war damals üblich

Anna war landwirtschaftliche Arbeit gewohnt. Hühner, zwei Schweine, und zeitweise auch Ziegen, mussten täglich gefüttert werden. Das Futter musste angebaut, geerntet und für den Winter gelagert werden. Natürlich hat Anna die Kinder, wenn möglich, immer mitgenommen. Die Ernährung der Familie war damals mit viel Eigenarbeit im Garten und auf gepachteten Feldern verbunden. Da wurde jede Hand gebraucht. Nur ihr Mann Karl war dafür nicht der Richtige. Er war im Schichtdienst bei der Reichsbahn unregelmäßig unterwegs – und das Arbeiten auf dem Land lag ihm auch nicht. Er war eher ein Stadtmensch.

Anna hat die Hofarbeit also weitgehend allein bewältigt, mit gelegentlicher Hilfe der Kinder. Auch die Arbeit im Haus war ja damals viel anstrengender als heute. Anna hatte in der Küche einen alten holzbefeuerten Herd, ein Waschbecken mit Wasserhahn in der Küche und ein Klo als Plumsklo in einem Nebengebäude über den Hof. Allein das Wäschewaschen und -bügeln für Anna, Karl und die fünf Kinder war sehr aufwändig. Und bekocht werden, wollte die Familie ja auch täglich.

Trotzdem ging sie nebenbei noch in die Zigarrenfabrik in Westhausen arbeiten. Vermutlich war es nötig, neben dem Eisenbahner-Lohn von Karl, noch einiges dazu zu verdienen, um über die Runden zu kommen. Für Anna war tägliche Arbeit – sieben Tage die Woche – ganz selbstverständlich. Urlaub und Freizeitvergnügen kannte sie nicht. Auch mit über 80 Jahren ging sie noch eifrig ins Feld “Runkeln hacken”, so berichten ihre Enkel.

Erinnerungen zweier Enkelinnen an Oma Anna

Karin und Ute, die Kinder von Heinrich und Ingeburg Gutbier, haben mit ihren Eltern gemeinsam im Haus von Anna und Karl Gutbier gewohnt, solange sie Kinder waren:

Karin: Also ich weiß noch: Wo wir in die Schule gegangen sind, kamen wir mittags nach Hause, da hatte Oma gekocht. Wir waren oft bei Oma, die hatte ja ihre Küche und ihr Wohnzimmer.

Wir haben viel Zeit bei Oma verbracht. Dann hatte sie Ihren Kleiderschrank bei uns im Schlafzimmer. Und immer, wenn wir mal ausschlafen wollten, brauchte Oma was aus ihrem Kleiderschrank – damit wir auch ja mal aufstehen!

Ute: Das hat sie ja auch so geschickt so gemacht, dass wir die Kirche Sonntags früh nicht verpassen. Deshalb kam sie immer so rechtzeitig rein zu uns, dass wir auch zeitig in die Sonntags-Messe kamen.

Unsere Oma konnte super gut kochen. Ich habe nie in der Essen-Küche in der Schule gegessen. Oma hatte immer was Besseres. Und: Meine Oma konnte super gut Kuchen backen.

Selbstgemachte Nudeln mit diesem gebogenen schrägen Messer, das sehe ich heute noch vor mir. Das war ein Messer, da konnte man eigentlich gar nicht mit schneiden. Das ging so zack, zack, zack, …. Die besten Nudeln ever! Dann wurden die über ein Brett gelegt, und dann ging das auf die Heizung oder auf den Ofen.

Brat-Äpfel im Winter: Wenn wir Schlitten fahren waren, kamen wir rein, wurden erstmal umgezogen, trockengelegt, dann gab’s Brat Äpfel. Dann sind wir wieder los.

Also immer wenn ich nach Hause kam, war Oma da. Ich kenne meine Oma nie, dass sie mal geschimpft hat.

Ute: Und dann hat unsere Oma – das habe ich bestimmt von meiner Oma geerbt – gerne was Süßes gegessen. Und Oma hatte immer was Süßes stehen. Ich kannte jede Ecke und dann hat sie es immer versteckt. Und ich hab dann ganz schön die Pralinen-Kästen wieder mit Banderole zugeklebt. Wenn dann irgendwer kam und sie sagte: „Oh – ich hab noch was stehen.“ Da bin ich schon immer Stiften gegangen und gedacht: Oh nein, doch nicht jetzt, da ist doch gar nichts mehr drin! Das weiß ich noch ganz genau.

Und dann hatte Oma immer gedacht, ich finde die Stellen nicht – weiß ich noch ganz genau. Manchmal hat sie Kuchen – damit er reicht bis nachmittags oder halt für den nächsten Tag – im Schlafzimmer unterm Bett versteckt.

Ich kannte alle ihre Verstecke. Aber Oma war nie böse. Oma hat nie geschimpft oder irgendwas – gar nicht, überhaupt nicht.

Karin: Nee, ich könnte auch nicht sagen, dass sie mal geschimpft hat oder so nein. Oma war eine richtig liebe!

Ute: Oma war der Ruhepol, würde ich mal so sagen.

Karin: Oma hat den Garten gemacht. Und hat auch meistens die Tiere gefüttert. Die Schweine gefüttert. Also Tiere, das war Omas Welt, da hat sich Opa gar nicht drum gekümmert. Stimmt, das wollte Opa gar nicht.

Nein, Opa war auch kein Freund, dass er draussen irgendwas umgerissen hat. Also Opa war auch kein Handwerker, wollen wir das mal so sagen. Opa konnte auch nicht viel.

Wir hatten ja Schweine und die Schweine brauchten Runkeln und Kartoffeln. Deshalb musste ich mit Oma aufs Runkelfeld und die Runkeln erstmal hacken. Also verziehen, so dass die immer so in Abständen standen. Alles was dazwischen stand, musste weg gehackt werden. Und dann wurden die Runkeln ausgezogen, wenn sie ausgewachsen waren. Und mit einem Hänger, also mit dem Trecker, dann nach Hause gefahren. Dann wurden die auf den Hof geschüttet. Die haben wir in den Keller, durchs Kellerloch rein geschmissen.

Ute: Als unsere Oma weit über 80 war – da hat Papa ihr dann gesagt, dass sie doch kürzer treten muss. Sie kanns doch nicht mehr! Die hatte auch so einen richtigen krummen Rücken, unsere Oma. Und da war unsere Oma ganz, ganz traurig. Ich weiß das noch.

Karin: Wochenlang war sie einmal auf dem Feld, aber Thomas war zuhause. Da hat Oma ihn gefragt, gehst du denn mit mir aufs Feld? Ich packe auch einen schönen Picknick Korb zusammen, mit einer Wurst und Allem. Und als sie nach Hause kamen, hat Thomas gesagt: “Nicht eine Pause haben wir gemacht, nix gegessen.” Das hat Thomas nie vergessen.

Ute: Also unsere Oma war fleißig, fleißig, ohne Ende.

Ute: Für Mutti war es manchmal auch nicht so leicht mit Oma. Mutti hat ja auch einen halben Tag gearbeitet und Oma war den ganzen Morgen alleine. Sie ist ja auch nirgends hingegangen. Und wenn wir dann nach Hause kamen, und Mutti nach Hause kam, dann wollte man ja auch erstmal zusammen sprechen. Also unsere Mutter wollte von uns wissen wie war’s denn in der Schule? Und wir kamen irgendwie nie dazu, weil Oma sofort dazwischen war. Das war so ein Punkt, der unsere Mutter sehr gestört hat.

Das ganze Gespräch kannst Du hier nachhören.

Auch Enkel Gerhard erinnert sich gern an Oma Anna

Gerhard ist der älteste Sohn von Karola, der Tochter von Anna und Karl Gutbier. Er durfte in den Sommerferien seit der dritten oder vierten Klasse für ein bis zwei Wochen allein zu Oma nach Bodenrode. Oma Anna freute sich immer sehr, wenn er kam. Für Gerhard fühlte es sich an, als sei er ihr Lieblings-Enkel.

Einmal sprach Opa Karl von Kostgeld für solche Zeiten. Oma Anna winkte das aber gleich ab. (Vermutlich musste Opa Karl auch Kostgeld für seine beiden Töchter nach dem Tod ihrer Mutter bei den Verwandten abgeben.) Gerhard kam jedenfalls noch oft und gerne zu Oma Anna auf den Hof in Bodenrode.

Oma Anna war sehr religiös und von den katholischen Lehren überzeugt. So bat Sie Gerhard in hohem Alter, wenn sie mal tot ist, möge er doch viel für sie beten, damit die Zeit des Fegefeuers bald vorüber gehen möge.

Vorfahren der Familie Karl Gutbier – Übersicht

Zur eigenen Orientierung habe ich die Vorfahren hier in einer Grafik dargestellt. Wer noch etwas dazu beitragen kann, ist herzlich willkommen.

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