Das Leben meines Urgroßvaters Anton Pape

Geboren wurde Anton 1853 in einem kleinen Dorf in Oberschlesien als Sohn eines Schäfers. Schlesien gehörte da erst seit wenigen Jahrzehnten zu Preußen. Die preußischen Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts schufen die bis dahin gültige “Erbuntertänigkeit” der Bauern ab. Erste Freiheitsrechte wurden den Einwohnern zugestanden. Kurz vor Antons Geburt erschütterten die Revolutionen 1848/1849 Preußen und die Nachbarländer. Und die Industrialisierung war auch bereits in vollem Gange. Anton wurde in eine ungemütliche Zeit geboren.

Leider weiß ich nicht viel von ihm – nur was in Dokumenten über ihn zu finden ist

Das erste Dokument über ihn stammt von 1883, als er in Berlin heiratete. Aus irgendeinem Grund muss er nach Berlin umgezogen sein. Seine Eltern lebten weiter in Oberschlesien. Wann und wie er nach Berlin gekommen ist, ist unklar.
In damaligen Urkunden wird fast immer der Beruf mit angegeben. Da wird Anton von 1853 bis 1900 zunächst als “Webergeselle” dann “Weber” bezeichnet. Von 1910 bis 1912 ist dann die Bezeichnung “Laternenwärter” für ihn üblich. Im Berliner Adressbuch von 1912 wird er als “Laternenanstecker” geführt. Laternenwärter scheint wohl richtig: Auf einem Dokument hat der Standesbeamte irrtümlich “Laternenanzünder” geschrieben, das aber in einer Notiz daneben gleich korrigiert: “Es muss Laternenwärter heißen.”

Jedenfalls hat Anton seinen Job im Laufe seines Berufslebens gewechselt. Vermutlich war er als Weber unter starkem Druck wegen der immer stärker werdenen industriellen Konkurrenz. Möglicherweise bemühte er sich deshalb mit Mitte 50 um einen besseren Beruf, als Laternenwärter.
Berlin hatte 1898 27.000 Gaslaternen. Die wurden um 1910 bereits weitgehend automatisch ein- und ausgeschaltet, so dass es die Laternenanzünder nicht mehr brauchte. Laternenwärter hatten dann die Aufgabe der Pflege und Funktionskontrolle der Gas-Laternen.

7 Wohnadressen von 1883 bis 1897

Aus den Urkunden lassen sich auch die Wohnorte von Anton entnehmen. Ab seiner Hochzeit 1883 finden wir 7 verschiedene Wohnadressen in Berlin. Anton wohnte immer im Berliner Norden oder Osten, in Friedrichshain, Pankow oder Prenzlauer Berg. Bei fast jeder Geburt eines seiner insgesamt 6 Kinder gab er eine andere Adresse an. Das verwundert ein wenig, ist doch ein Umzug immer eine aufwändige Aktion, die ja auch Geld kostet. Warum Anton mit Familie so oft umzog, ist nicht bekannt.

Könnte es sein, dass die Umstände für Anton damals so schwierig waren, dass er zeitweise das “Trockenwohnen” in Anspruch nehmen musste? Damals wurden in Berlin wegen des großen Zuzugs ja viele Häuser neu gebaut – aber viel zu wenige für die vielen Zugezogenen. Berlin hatte 1849 noch 412.000 Einwohner. 1900 waren es schon 1,89 Millionen, also fast viermal soviele in 50 Jahren!
Die große Nachfrage nach Wohnraum löste – wie heute auch – stark steigende Mieten aus. Wenn die Miete zu teuer wurde, musste man ausziehen, und sich eine andere Wohnung suchen. Umzugshektik in der Stadt gab es dann an den „Ziehtagen“ zum 1. April und zum 1. Oktober. Das lag daran, dass Mietverträge damals nur für 6 Monate geschlossen wurden. Man konnte also nicht zwischendurch aus- oder einziehen.

Anton und Marie Pape mit einem ihrer insgesamt 6 Kinder

Anton hatte das Glück, mit seiner Frau Maria alt zu werden. Zwei seiner Söhne verloren ihre Frauen durch Tod schon nach wenigen Jahren. Sie heirateten zweimal. Mit seinen 6 Kindern hatte er weniger Glück: Die beiden Mädchen starben schon mit 6 Monaten bzw. zweieinhalb Jahren. Und sein Sohn Erich stirbt als Soldat im 1. Weltkrieg. Seine Söhne Paul und Arthur haben ihn auf jeden Fall überlebt, vielleicht auch Max. Wann Max und Arthur gestorben sind, ist mir bisher nicht bekannt.

Wohnorte Anton Pape in Berlin: 1: Rüdersdorfer Str. 7, 2: Fruchtstr. 46, 3: Landsberger Allee 49, 4: Weissenburger Str. 49, 5: Pappelallee 40, 6: Stargarder Str. 17, 7: Lychener Str. 19 / OpenStreetMap Auszug

Liste der dokumentierten Ereignisse in Antons Leben

1853 in Geburt in Oberschlesien

370 km von Berlin entfernt, im damals preußischen Schlesien, liegt Tuntschendorf im Kreis Neurode. Heute ist Tuntschendorf (Tłumaczów) ein sehr kleiner Ort in Polen, direkt an der tchechischen Grenze.
Anton Pape, mein Urgroßvater, wurde dort in Oberschlesien geboren, am 8. September 1853. Sein Vater, Johann Pape, war ein Schäfer. Bei den Frauen wurden in Urkunden damals meist keine Berufe angegeben, wir kennen nur ihren Namen: Thekla Voelkel.

1883 Hochzeit in Berlin

30 Jahre später bezeugt die Heiratsurkunde, dass der Webergeselle Anton Pape, das Dienstmädchen Marie Thran in Berlin heiratete – am 13. April 1883. Maries Eltern – Luise Borkowski und Johann Thran – wohnten zu der Zeit in Schwentainen, Kreis Oletzko, das liegt heute ganz im nordöstichen Teil von Polen (Świętajno), nicht weit von Kaliningrad und Danzig entfernt.
Beide haben sich vermutlich in Berlin kennengelernt. Sie wird mit der Berliner Adresse Brennerstr. 14 angegeben, er mit Rüdersdorfer Str. 7. Anton ist katholisch, Marie evangelisch.
Die Brennerstraße gibt es heute noch in Pankow, nur die Haus-Nr. 14 fehlt, wie alle Nummern von 1 bis 16.
Die Rüdersdorfer Straße gibt es auch noch in Friedrichshain, nahe dem Ost-Bahnhof. Auf der Nr. 7 steht heute ein großen Neubau.

1884: Max wird geboren

Ihr Sohn Max Pape wird am 8. April 1884 geboren, in der Fruchtstraße 46. Das jedenfalls gibt die Geburtsurkunde als Wohnort des Webers Anton Pape und seiner Frau an. Die Fruchtstraße wurde 1971 umbenannt in „Straße der Pariser Kommune“, Gleich hinter dem Ostbahnhof in Friedrichshain. Dort stehen heute ausschließlich die sog. “Plattenbauten” aus der DDR-Zeit.

1886: Paul wird geboren

Marie und Anton bekommen ihren zweiten Sohn Paul am 12.Januar 1886. Laut Geburtsurkunde wohnt der Weber Anton Pape mit seiner Frau jetzt in der Landsberger Allee 49 in Berlin Friedrichshain. Das ist auch die Adresse vom alten Krankenhaus am Friedrichshainer Park.
Wohnte er da in einem der Nebenbegäude? War er vielleicht dort beschäftigt?
Dieser Sohn Paul Pape wird 65 Jahre später mein Opa.

1889: Arthur wird geboren

Der Sohn Arthur wurde am 26. April 1889 geboren. Der Weber Anton Pape wohnt immer noch in der Landsberger Allee 49 in Berlin Friedrichshain.

Bild: KhPape Landsberger Allee 49 im Jahr 2025 CC BY

1893: Erich wird geboren

Bild: KhPape Kollwitzstraße 49 im Jahr 2025 CC BY

Der vierte Sohn Erich wurde am 17. August 1893 geboren. Der Weber Anton Pape wohnt jetzt in der Weissenburger Str. 49 in Berlin Prenzlauer Berg. Die Weissenburger Str. wurde 1947 umbenannt in Kollwitzstraße. Wenn die Hausnummern noch die gleichen sind, dann ist das Haus in der Kollwitzstraße 49 heute ein schmaler Neubau. Die umliegenden noch erhaltenen Häuser zeugen zumindest auf der anderen Straßenseite von damals wohlhabenden Besitzern.

1895: Martha Frida wird geboren

Die erste Tochter, Martha Frida wurde am 10. Mai 1895 geboren. Der Weber Anton Pape wohnt jetzt in der Pappel Allee 40 in Berlin Pankow – immer noch mit seiner Frau Marie Pape. Das Haus der Familie Pape wurde hier auch durch einen Neubau ersetzt.

1895: Martha Frida stirbt

Mit nicht einmal 6 Monaten stirbt die erste Tochter Martha Frida am 9. November 1895 schon. Die Todesanzeige hat Marie Pape, geborene Thran unterschrieben.

1897: Hedwig Gertrud wird geboren

Die zweite Tochter Hedwig Gertrud wird am 13. Dezember 1897 geboren. Der Weber Anton Pape wohnt jetzt in der Stargarderstraße 17 in Berlin Pankow. Dieses Haus steht noch. Es hat vermutlich im letzten Krieg seinen Fassaden-Stuck verloren. Wie das mal ausgesehen haben mag, kann man an den noch erhaltenen Nachbarhaus-Fassaden sehen.

1900: Hedwig Gertrud stirbt

Mir zweieinhalb Jahren stirbt die Tochter Hedwig Gertrud am 17. März 1900. Die Adresse der Eltern wrd mit Stargarderstraße 17 angegeben. Als Beruf des Vaters wird wieder Weber geannt.

Bild: KhPape Stargarder Str 17: Drittes Haus von rechts – im Jahr 2025 CC BY
Bild: Vermutlich in der Stargarder Str 17: Familie Pape mit Anton und Marie in der Mitte, Arthur links (19 Jahre), Max (23) und Erich (14) rechts – am 12.4.1908, einen Tag vor der Silberhochzeit der Eltern. CC BY

1910: Max heiratet

Der Sohn Max Pape, Postbote, heiratet am 19. März 1910 die Näherin Johanna Berta Charlotte Kröplin. Der Postbote Max wird mit der Adresse Stargarder Str. 17 angegeben. Sein Vater wird jetzt als „Laternenwärter“ Anton Pape unter derselben Adresse genannt.

Und auch Johanna Berta Charlotte Kröplin wird mit der Adresse Stargarder Str. 17 angegeben. Sie wohnte offenbar bei ihren Eltern. Ihr Vater der „Steindrucker“ Georg Karl Adolf Kröplin ist mit der gleichen Adresse angegeben. Die wohnten offenbar im gleichen Haus.

(In dieser Heiratsurkunde hat der Standesbeamte den Beruf von Anton Pape als „Laternenanzünder“ angegeben. In einer Randnotiz hat der gleiche Standesbeamte geschrieben, es müsse „Laternenwärter“ heißen.)

1912 im Berliner Adressbuch

Im Berliner Adressbuch von 1912 wird Anton Pape mit der Adresse Stargarder Str. 17 geführt. Die Berufsangabe dort bei Pape, Anton: „Laternenanstecker

1912: Paul heiratet

Der Sohn Paul Pape, „Postbote“ heiratet am 28. März 1912 die 28 jährige Berta Charlotte Helene Manthey. Als Wohnort von Paul Pape wird die Sigmaringerstraße 30 angegeben. Sein Vater Anton Pape wird als “Laternenwärter“ bezeichnet.

1915: Erich stirbt im Krieg

Der Sohn Erich stirbt als Soldat im 1. Weltkrieg mit 22 Jahren. Todesanzeige in der Berliner Volkszeitung am 23. Juni 1915: „Ruhe sanft in Feindesland!“

1917: Anton Pape stirbt mit 63 Jahren

Bild: KhPape Lychener Str. 19 im Jahr 2025 CC BY

Anton Pape ist am 3. Juni 1917 verstorben. Die Sterbeurkunde gibt als Wohnort die Lychener Str. 19 in Berlin Pankow an. Dort wohnt auch sein Sohn, der „Metalldreher“ Arthur Pape. Offenbar wohnte Anton in seinen letzten Jahren zumindest im gleichen Haus bei seinem Sohn Arthur. Antons Frau Marie lebt noch (bis 1933). Das läßt vermuten, dass sie eine Wohnung in der Lychener Str. 19 hatten. Das Haus steht noch. Es hat ein Hinterhaus mit zwei Hinterhöfen. 30 Klingelschilder deuten auf viele Wohnungen hin.

Anton Pape ist laut Sterbeurkunde in seiner Laube Wisbyerstraße Ecke Stahlheimerstraße gestorben. Das war offenbar mal eine Laubenkolonie. Heute stehen dort nur noch Wohnhäuser.

Wer war Anton?

Diese Angaben stammen alle aus aufgefundenen amtlichen Dokumenten mit seinem Namen. Möglicherweise gibt es noch weitere davon. Was für ein Mensch Anton war, was er wirklich beruflich gemacht hat, wofür er sich engagiert hat – all das werde ich vermutlich nicht mehr erfahren. Alle, die dazu etwas beitragen könnten sind leider nicht mehr da. Aber schon diese wenigen Daten aus seinem Leben zeichnen einen interessanten Umriß meines Urgroßvaters!