Leider komme ich erst jetzt auf die Idee, mich für das Leben meines Onkels und seiner Familie intensiver zu interessieren. Ein paar Jahr früher hätte ich sie noch direkt befragen können. Mit Hilfe seiner noch lebenden Tochter Waltraut konnte ich sein Leben zunächst bis zur Auswanderung nach Kanada ein wenig verfolgen.
Meinen Onkel Kurt Pape, den ersten Sohn von Anna und Paul Pape, kenne ich nur ganz flüchtig. Ich war vier Jahre alt, als er mit seiner Familie von Berlin nach Kanada übersiedelte. Leider hatten wir danach keinen Kontakt mehr, an den ich mich erinnern kann. Umso mehr interessiert mich nun, was aus ihm und seiner Familie in Kanada geworden ist. Kurt Pape ist leider 1999 in Kitchener nahe Toronto verstorben. Seine Frau Käthe ist 2002 dort gestorben. Von deren zwei Töchtern lebt Waltraut noch. Glücklicherweise habe ich inzwischen wieder Kontakt zu ihr. Sie konnte etliche meiner Fragen zu Kurt Pape beantworten, zum Teil mit alten Dokumenten.
Kurt – der erste Sohn von Anna und Paul
Kurz nach dem ersten Welkrieg kommt Kurt in Berlin zur Welt, am 13.1.1919. Er ist Sohn von Anna und Paul Pape, die zwei Jahre zuvor geheiratet haben.
Der siebenjährige Kurt bekommt 1926 ein sehr gutes Zeugnis in der 5. Volksschule in Berlin Wilmersdorf. Er scheint Spaß am Lernen gehabt zu haben. (Klasse 7a: Die Klassen zählten damals rückwärts.)

Das Abgangszeugnis der Oberrealschule am Hindenburgpark 1935 sieht nicht ganz so rosig aus. Aber in Mathe steht dort ein “sehr gut”. In dem Zeugnis wird beschrieben, dass Kurt der Anstalt 6 Jahre angehört hat, und die Anstalt verläßt, um einen Beruf zu ergreifen. Das Formular wird als “Vordruck für Gymnasien und Realanstalten” beschrieben. Realschulen waren damals offenbar “Real-Anstalten”, siehe auch hier.

Kurt wird Lehrling in der Wexstraße
Sein Lehrvertrag von 1935 ist glücklicherweise erhalten geblieben. Elektromeister Hermann Jonas schließt den Lehrvertrag mit dem 16-jährigen für 4 Jahre bis März 1939.
Interessant ist die Adresse des Elektrobetriebes: Wexstr. 27. Das ist in Wilmersdorf zwei Häuser neben meiner Kindheitsadresse. Im Gegensatz zum noch bestehenden Haus Wexstr. 29 gibt es das alte Haus Wexstr. 27 leider nicht mehr.
Zum Ende der Lehrzeit am 31. März 1939 bekommt Kurt ein gutes Zeugnis von Hermann Jonas: “Mit seiner Führung und seinen Leistungen war ich bis zum heutigen Tag stets sehr zufrieden …”.

Der Soldat Kurt heiratet und wird Vater – mitten im Krieg

Kurt wurde gleich nach der Lehre zum Militär eingezogen. Über seine Militärzeit berichtet er in einer Tätigkeitsauflistung für seine Anerkennung als Elektriker in Kanada: “I served in the German Army Signal Corps carrying out general electrical repairs from April 1939 to July 1945.”
Mitten im Krieg heiratet Kurt seine Frau Käthe. Für eine große Feier war das bestimmt nicht die richtige Zeit. Bald bekommt Kurt auch seine erste Tochter: Renate wird am 7. Juli 1943 in Neu Panstorf geboren. Vermutlich ist seine Frau Käthe sicherheitshalber während des Krieges in Neu Panstorf geblieben. Kurt war ja als Soldat im Krieg und auch nicht in Berlin. Deshalb dieser Geburtsort.
Nach dem Krieg wird in der Zuzugsgenehmigung des Bezirksamtes Wilmersdorf – Kurt darf bei seinen Eltern in der Augustastr 72 (heute Blissestraße) wohnen – die Rückkehr aus der englischen Kriegsgefangenschaft genannt. Mehr wissen wir von Kurts Militärzeit leider nicht.


Die Familie zieht zusammen
Nach dem Kurt aus dem Krieg kam, brauchte er eine Wohnung, in der er mit seiner Familie einziehen konnte. Im damals zerbombten Berlin ware es extrem schwierig eine Wohnung zu bekommen. Vermutlich deshalb hat Kurt mit seiner Frau Käthe eine Hausmeisterstelle in der Kaiserallee (heutige Bundesallee) angenommen. Hausmeister bekamen eine „Dienstwohnung“, mit vielen Anwesenheits-Anforderungen und langen Dienstzeiten.

Kurt, seine Frau Käthe und die dreijährige Renate hatten ab dem 1. Juli 1946 eine Dienstwohnung, bestehend aus 1 Zimmer, 1 Küche und einem Klo, in der Kaiser Allee 157 (heutige Bundesallee 157) im Parterre rechts. In den alten Berliner Häusern gab es in der Portier-Wohnung oft ein kleines Fenster in den Flur, damit die „Portiersche“ auch gut beobachten konnte, wer sich wie im Haus verhielt.
Hausmeister-Familien hatten fast rund um die Uhr im Dienst zu sein. Auch wenn oben die tägliche Arbeitszeit von 7:00 bis 20:00 Uhr angegeben wird (Mittagspause von 12 bis 14 Uhr, Freier Sonntag wird monatlich kein mal gewährt), auf Seite 4 des Dienstvertrages wird gefordert, die Haustür pünktlich um 6:00 Uhr zu öffnen und um 20:00 Uhr zu schließen. Sehr wahrscheinlich gab es in der Haustür auch ein Schloß für den „Berliner Schlüssel“. Den konnten die Mieter bei abgeschlossenem Haus nur wieder aus dem Schloß ziehen, wenn sie nach dem Aufschließen wieder absperrten. Dieser Durchsteck-Schlüssel ist hier beschrieben.
Neben den genauen Anweisungen, was wie oft im Haus zu putzen ist (zum Beispiel alle Metallgriffe und Beschläge sind wöchentlich einmal zu putzen), wird auf Seite 3 folgender Dienst beschrieben:

Für uns heute kaum vostellbar, ist die erforderliche Zustimmung des Ehemannes, wenn die Frau allein arbeiten wollte. Ganz unten sollte in dem Falle auch hier der Ehemann seine Genehmigung geben:

Ab Januar 1947 endlich eine Zwei-Zimmer-Wohnung
Es gibt einen zweiten Hausmeister-Dienstvertrag, ebenfalls für den Hausmeisterdienst in der Kaiser-Allee 157, der ab dem 1. Jnauar 1947 gilt. Der einzige Unterschied: Die Dienstwohnung ist jetzt in der Kaiser Allee 17, auch im Parterre rechts. Die hat aber 2 Zimmer, 1 Küche und ein Klo. Auch dieser Dienstvertrag ist – wie der erste – bis zum 30. September 1947 befristet. Kurt und Käthe wollten offenbar aus der engen Ein-Zimmer-Wohnung raus. Damit müssen sich auch ein paar Aufgaben geändert haben, denn die neue Wohnung ist jetzt 1,6 km entfernt.
Die Hausmeistertätigkeit war wohl überwiegend Aufgabe von Käthe. Kurt war ja seit seiner Rückkehr aus dem Krieg wieder als Elektriker beschäftigt.
Kurt wird Elektro-Meister und erneut Vater

Von September 1945 bis Juli 1951 war Kurt als Elektriker wieder bei seinem Aubildungsbetrieb beschäftigt. Abends und am Wochenende hat er aber in der Meisterschule gelernt. Im Juli 1948 hat er seine Meisterprüfung bestanden. Jetzt war Kurt Elektro-Meister mit der Berechtigung Lehrlinge auszubilden und sich selbständig zu machen.
Am 27. März 1948 wird seine zweite Tochter Waltraut in Berlin geboren. Kurt muss nun eine Vier-Personen-Familie ernähren.

Weitere Wohnadressen
Wo Kurt mit Familie nach dem Hausmeisterdienst hingezogen ist, ist nicht bekannt. Auf einem Formular zum Erhalt eines wohl im Krieg verschollenen Sparbuches gibt Kurt zwei Adressen an. Die Wohnadresse „Berlin Wilmersdorf, Kalischer Str. 28“ und den Sitz seiner Firma „Berlin Wilmersdorf, Wexstr. 29“. Beides damals im Britischen Sektor des geteilten Berlin.

Für kurze Zeit selbständig
Von Juli 1951 bis Februar 1952 war Kurt als selbständiger Elektro-Meister in Berlin tätig. Aus seiner Versicherungskarte zu der Zeit steht die Adresse Wexstraße 29. Das war wohl auch sein Wohnort zu der Zeit.


In dieser Zeit bekam er vermutlich Kontakt zu „Radio Scholz“ in Tempelhof. Auf der Vorderseite des handgeschriebenen Anstellungsvertrages ab 1952 ist die Produktpalette von Radio-Scholz zu erkennen. Elektro-Installationen sind da nicht erwähnt. Für die brauchte man eine Konzession des damaligen Stromnetz-Betreibers, der BEWAG. Diese Genehmigung hatte Kurt offenbar. Max Scholz konnte damit ein weiteres Geschäftsfeld aufbauen, das der Elektro-Installationen. Und die waren in der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Krieg in Berlin sicher sehr nachgefragt.
Der einfache Text des Arbeitsvertrages:
Hr. Kurt Pape
Ab 15. Mai 1952 Tätigkeit als Elektro-Meister, Konzessionsträger lt. Bewag-Bestimmungen.
Vertr-Gehalt: DM 320,- (Dreihundertzwanzig). Anstellungsschreiben folgt 14./15. Mai.
13./5. 52 Max Scholz



1955: Kurt geht nach Kanada

Die Lage im noch immer weitgehend vom Krieg zerstörten Berlin schien für Kurt keine hoffnungsvolle Perspektive zu bieten. Irgendwie überzeugte er seine Frau Käthe und seine beiden 12 und 7 Jahre alten Töchter Renate und Waltraut, Deutschland zu verlassen und in Kanada neu anzufangen. Elektro-Meister werden sicher auch in Kanada gefragt sein. Er werde seine Familie dort auch ernähren können.
Seine Reise begann im „Interzonenomnibus“, um aus dem damaligen „West-Berlin“ durch die DDR nach West-Deutschland zu kommen, siehe Fahrschein für den 12.9.1955.
Am 1. September 1955 bezahlte Kurt zunächst nur seine Überfahrt nach Quebec/Montreal von Bremerhaven mit dem Schiff Arosa Sun von der Arosa Line Agancy. 185 $ kostete ihn die Überfahrt damals. Am 14. September 1955 ging es dann aufs Schiff über den Atlantik.

Für den Beginn in Kanada hat Kurt hauptsächlich Werkzeug in die Übersee-Tranportkisten gepackt. Er hat alles vorbereitet, um möglichst schnell als Elektromeister wieder Geld zu verdienen:

Auf der Liste für den Übersee-Transport stehen auch einige Werkzeuge, die man heute nicht mehr kennt, zum Beipiel der „Kronenbohrer“ und der „Rallbohrer“. Beide Werkzeuge habei ich auch im Nachlaß meines Vaters – dem Bruder von Kurt – gefunden. Während Kurt als Elektro-Meister gearbeitet hat, war sein Bruder Werner als Fernmeldemonteur unterwegs. Wie man damals sagte, war Kurt für den Starkstrom zuständig, und Werner für den Schwachstrom. Aber beide mussten auch Leitungen verlegen.


Auf der Liste steht auch ein Rechenschieber, den heute auch kaum noch einer kennt. Die Bedienung müsste ich auch erst wieder üben:

Kurt wollte in Kanada erst eine Wohnung und eine Arbeit besorgen, bevor die Familie nach Kanada kommt. Die Familie wohnte zu der Zeit offenbar in der Tübinger Straße 6 in Berlin Wilmersdorf. Das zeigt uns eine Miet-Quittung über 36,49 DM wohl für den letzten Mietmonat in Deutschland.



Vermutlich im Januar 1956 ist dann die Familie ebenfalls mit der Arosa Sun nach Kanada gekommen. Die Überfahrt für Käthe und die Kinder Renate und Waltraut hat damals 478,65 $ gekostet. Hier der Passagierlisten-Auszug für diese Reise:

Waltraut kann sich erinnern, dass der Zielhafen St. John, New Brunswick, zugefroren war, und sie weit entfernt in Boston in den USA an Land kamen. Von dort musste Käthe mit zwei Kindern nach der Überfahrt eine lange Reise im Zug bewältigen. Sie sind aber dennoch gut in Kanada angekommen. Die Familie war Anfang 1956 in Kanada wieder beisammen.