Vor 5 Jahren hat mich mein Sohn auf ein gebrauchtes Liegerad aufmerksam gemacht. Bis dahin bin ich noch nie auf einem Liegerad gefahren, nur auf normalen Fahrrädern. Aber ein Liegerad mal zu probieren, das reizte mich schon. Ich kaufte 2017 dieses gebrauchte Tanaro Liegerad, Baujahr etwa 1991:
Der Anfang war frustrierend: Beide Hände fest am Unterlenker – und trotzdem war ich wackelig unterwegs. Es dauerte eine Weile bis ich mich dran gewöhnte, das die Hände nur aufliegen müssen. Das Lenken geht mit Fingerspitzen, völlig ohne Kraft. Nicht nur das ist ungewohnt, auch muss man auf dem Liegerad die Balance anders halten. Das Verlagern von Körpergewicht geht hier nicht, Balance hält man nur durch kleine ausgleichende Lenkbewegungen. Und bis ich das so richtig zur verinnerlichten Routine gemacht habe, ist gut ein Monat vergangen.
Dann begann der Fahrspaß auf dem Tanaro
“Kann ich ncht noch einen kleinen Umweg fahren” fragte ich mich oft, um das Fahr-Vergnügen noch ein wenig zu genießen. Die Sitzposition ist etwa die auf einem Autositz, 115 Grad leicht nach hinten geneigt, aber aufrecht sitzend. Die Hände liegen beidseitig entspannt auf dem Unterlenker. Damit gibt es keine Muskelspannung am Oberkörper – also auch keine Verspannungen. Nur die Beine müssen arbeiten. Die Sitzhöhe ist beim Tanaro mit einem Griff von 70 cm bis 85 cm weitgehend veränderbar. Die höchste Position gestattet mir nicht mehr mit den Füßen auf die Erde zu kommen. Ich müßte abspringen beim Anhalten. Mein Sitz ist mit 80 cm so eingestellt, dass ich mit den Autofahrern auf Augenhöhe fahre. Das gestattet mir auch den Durchblick von hinten durch die Autos in der Stadt. Eine extrem bequeme Haltung, die man stundenlang aushält. Zumal man auf dem Textil-Spannsitz auch keine Schwielen am Hintern bekommt.
Nur Bergauf bin ich mit dem Liegerad doch deutlich langsamer als mit meinem Trecking-Rad vorher. Und beim Langsam-Fahren braucht man etwas mehr Platz auf der Straße, weil die Balance nur durchs Lenken gehalten werden kann. Man fährt ein paar kleine Schlenker mehr, und hofft, dass die motorisierten Verkehrsteilnehmer dann genügend Abstand halten. Das war dann der Anlaß für eine elektrische Bergauf-Hilfe, die sich dann als “Berg-Ausschalter” zeigte. Auch Radreisen machen Spaß mit dem robusten Tanaro.
15.000 km bin ich damit seit 2017 problemlos gefahren. Dem Alter geschuldet, gab es in der Zeit zwei Reparaturen: Die Magura-Bremsen (Bremsssattel, Leitungen und Bremsgriffe) mussten erneuert werden. Und die Dreigang-Hinteradnabe von Sachs brauchte innen neues Fett, sie quietsche. Ja, einen Satz neue Reifen gab es auch. Und die Kette scheint noch die erste zu sein. Ich habe sie jedenfalls bisher nicht wechseln müssen. Die Siebengang-Schaltung funktioniert nach wie vor problemlos, in Kombination mit der unverwüstlichen Sachs-Dreigang-Schaltung.
eGreenmachine als Zweitrad
Vielleicht gibt es ja auch andere interessante Liegeräder. Der Gedanke kam immer häufiger. Und die Greenmachine von Flevobike in Holland ist ja auch so ein Kultrad. Dann stand sogar eine mit dem original E-Antrieb zum Verkauf, Baujahr 2012, auch gebraucht.
Die Greenmachine wird seit 2021 leider nicht mehr gebaut. 600 Stück wurden gebaut, immer mit edlen Teilen, und damit im Hochpreis-Segment. Im Velomobilforum wird von 100.000 km Fahrleistung berichtet. Das Rad wurde für Pendler entwickelt, die bei Wind und Wetter fahren müssen. Alles gekapselt, nirgends eine Kette zu sehen. Die Schaltung ist eine Rohloff Nabenschaltung, die aber nicht im Hinterrad, sondern als Getriebe zwischen vorderer und hinterer Kette arbeitet. Die hintere Kette liegt in der Hinterradschwinge, die das Hinterrad einseitig hält, wie bei einem Motorrad.
Die gefederte Hinterradschwinge und die gefederte Vorderradgabel an meinem Exemplar läßt mich noch eleganter über Bodenunebeneheiten gleiten, als ich es vom Tanaro gewohnt bin. “Sänfte” ist ein treffendes Wort für dieses Liegerad.
Greenmachine: Sehr ungewohnt, die ersten Ausfahrten
Der nicht höhenverstellbare Sitz ist mit 55 cm deutlich tiefer (tiefster Punkt). Die Lehne läßt sich in der Neigung verstellen, ist aber bei 140 Grad am steilsten. Da ist kein aufrechtes Sitzen mehr möglich, das ist nun wirklich eher Liegen, schon in der steilsten Position. Das bedeutet, man muß beim Fahren den Kopf anheben, um geradeaus zu schauen. Das fiel mir schon deshalb schwer, weil meine Mehr-Stärken-Brille oben den Fernsicht-Bereich hat, also noch mehr Kopfneigung erfordert. Die Nackenmuskeln müssen dafür erst trainiert werden. Trotzdem wünsche ich mir noch immer eine Nackenstütze. Die ist aber an der Greenmachine nicht vorgesehen.
Dann ist die Greenmachine ein Kurzlieger. Meine noch mit Oberlenker, was das Fahrgefühl nochmal grundsätzlich gebenüber dem Langlieger Tanaro mit Unterlenker ändert. Die Greenmachine ist “wepsiger”, hat weniger Geradeauslauf, kommt dafür um engere Kurven.
Ohne Motor: Das Tanaro ist für mich das bequemere und schnellere Rad
Sehr bequem ist die fast aufrechte Sitzposition beim Tanaro. Gerade im Stadtverkehr habe ich auch an zugeparkten Kreuzungen den “Auto-Durchblick” durch die Autoscheiben. Ich kann sitzenbleiben bis zum Anfahren. Das geht bei der Greenmachine nicht. Im Sitzen sehe ich nur Autobleche. An engen Kreuzungen muss ich aufstehen, um zu sehen, ob die Straße frei ist.
Die Greenmachine braucht gefühlt mehr Kraft beim Treten. Aber wenn sie einmal rollt, dann hört sie fast gar nicht mehr auf zu fahren – auch ohne treten. Das mag an dem deutlich höheren Gewicht liegen. Beim Treten sind die beiden Ketten der Greenmachine deutlich zu hören. In den niedrigen Gängen macht auch das Rohloff-Getriebe deutliche Geräusche.
Ganz anders beim Tanaro: Kette und Antrieb höre ich gar nicht. Das Rad läuft fast geräuschlos, ein wenig abhängig von den Reifen. Ab 20 km/h surrt der Schwalbe Surpreme am Hinterrad ganz leise vor sich hin. Den Schwalbe Racer am Vorderrad höre ich nie.
Mit Motor: Ist die Greenmashine die bevorzugte Variante
Nach jetzt 1.100 km auf der Greenmachine in diesem Sommer, greife ich immer öfter zu diesem Rad. Das liegt an dem fast unerschöpflichen und kräftigen Motor-Antrieb. 140 km auf mittlerer bis höchster Unterstützung-Stufe – und noch immer kein leerer Akku! So viel Akku-Reserve verleitet zu weniger körperlicher Anstrengung. Die eGreenmachine nutzt einen Kraft-Sensor, der den Motor entsprechend dem Pedaldruck steuert. Mehr Druck bedeutet mehr Motor-Power. Damit wird die Muskelkraft direkt verstärkt. In der hohen Unterstützungsstufe und kräftigem Tritt wird man richtig in die Lehne gedrückt.
Das hat aber auch einen kleinen Nachteil: Wenn ich am Berg runterschalte, dann wird die Pedalkraft ja kleiner, damit auch die spürbare Motor-Unterstützung. Gefühlt muss ich jetzt mehr Energie aufbringen, als in einem höheren Gang. Aber das ist nur ein nur kleiner Unterschied. Jedenfalls erlebe ich mich, am Berg nur wenig runterzuschalten, und lieber ein wenig kräftiger zu treten, um den Motor richtig anzuspornen.
Auch an meinem Tanaro habe ich einen add-e Next Motor angebaut. Den wollte ich nur als Unterstützung für die Berge nutzen. Sonst will ich mein Rad mit reiner Muskelkraft antreiben. Dafür reicht dann auch der nur gut 2 kg schwere Nachrüstsatz mit Akku und Motor. Wenn ich den im Flachland dauernd nutzen würde, wäre der Akku nach etwa 50 km leer. In den Bergen geht das natürlich viel weniger weit. Diese Einschränkung hat den Vorteil, dass ich den Antrieb ganz automatisch sparsam nutze. Ich fürchte, mit der e-Greenmachine Erfahrung werde ich verschwenderischer mit der Motor-Unterstützung!
Fazit
Das bequemere Rad ist noch immer das Tanaro: Sehr viel bequemere Sitz-Position, mehr Übersicht im Verkehr, besserer Geradeauslauf (Langlieger), insgesamt leichter und fast geräuschlos. Den Motor brauche ich wirklich nur am Berg.
Das weniger anstrengende Rad ist die eGreenmachine mit dem 500 Wh-Akku (der nach 10 Jahren noch immer eine sehr hohe Kapazität hat). Ich fahre meine Greenmachine nun immer mit Motorunterstützung. Und bei der großen Akku-Kapazität ist die Versuchung groß, nicht die kleinste Unterstützungsstufe zu wählen. Die Nackenmuskeln gewöhnen sich so langsam auch an das Kopf-Hochhalten.
P.S. Ich habe an der eGreenmachine noch den in der ersten Serie verbauten LiFePo4-Akku mit 500 Wh und 38,4 Volt. Der ist mit seinen 5 kg schwerer als andere Lithium Akkus. Dafür hat er einige Vorteile: Er neigt auch bei mechanischer Beschädigung nicht zum “thermischen Durchgehen”, siehe hier. Und die Ladezyklen liegen bei etwa 2000 statt der üblichen 500 bei den übrigen Lithium-Akkus.