Vom Erdkeller bis zur Wärmepumpe: Die Geschichte eines historischen Hauses im Eichsfeld

Haus auf dem Flumberg

Das Haus war einst zwei Häuser

Der Grundbuchauszug von 1859 bestätigt, dass es sich um zwei Haushälften handelte, mit den damaligen Nummern 32 und 33. Bis zu diesem Jahr lebten dort offenbar zwei Familien: Die von Andreas Kaufmann und die von Johann Joseph Flume. Im Jahr 1859 wurde dem Weber Johann Joseph Flume auch die zweite Haushälfte des „Halbgerechtigkeitshauses“ zugeteilt. Dies ist das erste auffindbare Dokument zu dem Haus. Wann es gebaut wurde, lässt sich nicht mehr ermitteln.

Einer der beiden Erdkeller unter dem Haus

Solche „Halbgerechtigkeitshäuser“ wurden damals hauptsächlich von Handwerkern genutzt, die nebenbei nur Landwirtschaft für die eigene Versorgung betrieben. Im Gegensatz zu den Vollrechtshäusern der Bauern hatten sie weniger Rechte (z.B. Nutzung gemeindeigenen Weidelands), aber auch weniger Pflichten (Abgaben). Heute erkennt man die Zweiteilung nur noch an den zwei Erdkellern unter dem Haus. Dort wurde Gemüse für den Winter eingelagert, indem es einfach in den Kellerboden eingegraben wurde. Konstant niedrige Temperaturen ersetzten den Kühlschrank. Manche Leute bauen sich heute wieder einen Erdkeller.

Kleine Landwirtschaft zur Selbstversorgung

Der große Bauerngarten, heute nur noch 1000 m² groß, diente der Familienernährung. Zusätzlich gehörten einige wenige Ackerstücke zum Haus, hauptsächlich für den Anbau von Tierfutter. Zwei kleine Schweinestall-Boxen, ein Ziegen- und ein Hühnerstall sind in den Nebengebäuden noch zu sehen. Die große Scheune wurde zum Einlagern von Heu und Stroh benötigt.

1000 m² Bauerngarten mit großer Scheune fürs „Halbgerechtigkeitshaus“

Die kleine Landwirtschaft kostete sicherlich viel Arbeitszeit, und die ganze Familie musste mithelfen. Martha Elisabeth und Johann Joseph Flume hatten sieben Kinder. Eines starb nach nur zwei Tagen, eines nach zwei Monaten und eines im Alter von vier Jahren. Johann Joseph verdiente sein Geld als Weber. Ob er am eigenen Webstuhl im Haus arbeitete oder in einer Textilfabrik in der Umgebung, ist nicht bekannt. Als Weber hatte er zu der Zeit vermutlich wenig Aufträge, da die Eichsfelder Webereien schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts in einer schweren Krise steckten. Die fabrikmäßige Stoffproduktion und neue Baumwollstoffe machten die Eichsfelder Textilprodukte nicht mehr wettbewerbsfähig. Viele Eichsfelder verließen deshalb ihre Heimat.

Damals ein Fachwerkhaus

Im Zentrum des Hauses befand sich die „Wohnküche“, wie wir heute sagen würden. Die Küche war der Familientreffpunkt und im Winter immer warm. Der holzbeheizte Herd (auch Küchenhexe genannt) diente neben dem Kochen auch dem Heizen der Stube. Dies war typisch für die „Halbgerechtigkeitshäuser“. Von der Küche aus ging es in den Erdkeller und die Speisekammer. Das ist auch heute noch so, allerdings gibt es nur noch einen Zugang zu beiden Kellern. Im geteilten Haus vor 1859 musste es einen weiteren Kellerzugang gegeben haben. Der Grundriß zeigt, das die zentrale „Wohnküche“ sehr wahrscheinlich eine gemeinsame für beide Haushälften war.

Altes Haus H56 Grundriß EG ohne Anbau

Das Haus war außen und innen ein Fachwerkbau, ausgefacht mit Lehm und Stroh, so gerade, wie die Holzbalken es zuließen. Bauphysikalisch war das ideal, da Lehm enorm viel Feuchtigkeit aufnehmen kann, wenn im Winter Luftfeuchtigkeit an den Wänden kondensiert. Diese Eigenschaft schützte auch die Tragbalken, da Lehm sie trocken hielt.

1879: Die 14-jährige Tochter bekommt das Haus

1879 ging das Haus von Johann Joseph Flume in den Besitz seiner Tochter Dorothea Elisabeth Flume über. Sie war damals erst 14 Jahre alt. Möglicherweise verstarb ihr Vater in diesem Jahr, und sie erbte das Haus. Ein Todesdatum von ihm ist nicht überliefert. Dorothea Elisabeth heiratete 1894 Joseph Kaufmann. Sie war 28, er 34 Jahre alt. Joseph Kaufmann war indirekt auch mit dem Haus verbunden: Sein Vater, Andreas Kaufmann, hatte seine Haushälfte damals an Johann Joseph übergeben. Mit Joseph Kaufmann bekam Dorothea im Januar 1896 die Tochter Christina Kaufmann. Nur vier Monate später verstarb Joseph an einer Lungenentzündung.

Die nun 30-jährige Dorothea hatte eine Tochter, aber kein Einkommen mehr. Sie besaß jedoch das Haus auf dem „Flumberg“, wie das Grundstück im Ort genannt wurde. Der 27-jährige Heinrich Schneider interessierte sich für Dorothea, und die beiden heirateten 1887 in Bodenrode. Dorothea Kaufmann hieß nun Dorothea Schneider. Sie bekamen in dem Haus noch drei Kinder: Anna Maria, Alfred und Josef Schneider.

Vor dem Haus: Mutter Dorothea Schneider mit Kindern Anna, Josef und Alfred

Dorothea gibt das Haus auch ihrer Tochter

1928 war Dorothea Schneider 62 Jahre alt. Sie wohnte noch immer in dem Haus, zusammen mit ihrer 28-jährigen, unverheirateten Tochter Anna Maria. Anna lernte den kurz zuvor verwitweten Karl Gutbier kennen, einen Eisenbahner mit zwei kleinen Kindern, die dringend eine Mutter brauchten. Anna und Karl heirateten am 26. Januar 1929. Karl und die beiden Kinder zogen zu Anna und ihrer Mutter in das Haus. 1930 übergab Dorothea Schneider das Haus an ihre nun verheiratete Tochter Anna. Anna Gutbier besaß das Haus allein, wie es bei ihrer Mutter auch der Fall war. Zu den zwei Kindern von Karl kamen noch drei weitere hinzu: Josef, Karola und Heinrich Gutbier.

Weiterhin: Selbstversorgung mit Lebensmitteln

Karl war als Zugführer bei der Reichsbahn im Schichtdienst unterwegs und verdiente nicht viel. Sein unregelmäßiger Dienst erlaubte es ihm nicht, die Tiere regelmäßig zu füttern, was ihm als Stadtkind auch recht war. Die Tiere – zwei Schweine, zeitweise eine Ziege, Hühner und Kaninchen – waren jedoch wichtig für die Ernährung der Familie. Neben dem täglichen Füttern mussten Runkelrüben angepflanzt und „verzogen“ werden. Für Gemüse und Obst brauchte man den eigenen Garten. Viel Arbeit für Anna, die dafür auch ihre Kinder mit einspannte.

Anna übergibt das Haus an Heinrich und seine Frau Ingeburg

Die beiden Karl-Kinder waren längst ausgezogen: Katharina ging 1950 nach Berlin, Martha 1949 ins Kloster nach „Westdeutschland“. Josef Gutbier verunglückte 1952 im Bergwerk. Karola heiratete nach Heiligenstadt. Nur Heinrich blieb im Haus. Er heiratete Ingeburg Funke vom „Funkenberg“ in Bodenrode. Heinrich und Ingeburg wohnten nun als junge Familie im Haus von Anna und Karl. Das war nicht einfach, da das Haus für zwei Familien sehr eng war. Aber man arrangierte sich, auch als die beiden Kinder kamen: Ute und Karin.

Das Haus war inzwischen in die Jahre gekommen. Wasser holte man noch immer vom Brunnen unten an der Straße. Heinrich wollte modernisieren, aber Karl wollte keine Baustelle haben. Als Karl sehr alt war, entschloss sich Anna 1972, das Haus an Heinrich und Ingeburg zu übergeben – diesmal an beide als Besitzer. Heinrich begann sofort mit der Planung eines größeren Umbaus und eines Anbaus als neues Wohnzimmer.

1972: Die äußeren Fachwerkwände werden durch Mauern ersetzt

Es ist kaum vorstellbar: Jede der vier Außenwände wurde einzeln entfernt, die Dachkonstruktion provisorisch unterstützt und durch eine 24 cm Ziegelsteinmauer ersetzt. Die beiden Familien lebten weiterhin im Haus. Alle inneren Wände blieben erhalten. An der nördlichen Mauer wurde das neue Wohnzimmer angebaut. Eine Wasser- und Abwasserleitung wurde verlegt, und das Plumpsklo im Hof wurde überflüssig. Wasser gab es nun in der Küche und im neuen Klo beim Eingang.

Plan des „Außenmauer-Tausches“ plus Anbau plus Toiletten-Vorbau 1972
Grundriß des weitgehend unverändert gebliebenen Obergeschoßes

1992: Eine Gas-Zentralheizung wird eingebaut

Wenige Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurden im Dorf Gasleitungen verlegt. Heinrich ließ sein Haus sofort anschließen und eine Gas-Zentralheizung einbauen. Endlich keine Kohleöfen mehr!

1924: Große Innensanierung

Heinrich und Ingeburg sind inzwischen verstorben. Das Haus hat der älteste Sohn von Katharina Gutbier übernommen und einige Sanierungen durchgeführt:

  • Die oberste Geschossdecke wurde 25 cm dick mit ökologischen Holzfasermatten gedämmt.
  • Alle Fenster werden gegen Wärmeschutzfenster getauscht.
  • Die alte Gasheizung wurde gegen eine spezielle Altbau-Wärmepumpe getauscht, die extrem leise läuft.
  • In der Küche und im Esszimmer mussten die Fußböden erneuert werden.
    Dabei wurde gleich eine Fußbodenheizung integriert.
  • Wasser- und Abwasserleitungen wurden erneuert.
  • Die gesamte Elektroinstallation wurde erneuert.
    In allen Zimmern liegen zusätzlich Internet- und Antennenleitungen.
  • Das Bad im Obergeschoss hat jetzt eine Dusche und ein Klo.

Die manchmal etwas buckligen Innen-Lehm-Fachwerkwände wurden bewusst erhalten, ebenso einige alte Holzfußböden. Es soll spürbar bleiben, dass dieses Haus schon viel erlebt hat.

Ein paar Innenansichten des alten Hauses

Seit 2024 CO²-freie Wärme im Winter

Fazit

Vielleicht ist das Haus ja schon um 1750 entstanden. Dann hätte es über 250 Jahre lang viele Generationen beherbergt. Damals als Doppelhaus, mit größeren Familien als heute, muss es sich unglaublich eng angefühlt haben. Wenn die immer warme Küche auch der zentrale Ort für beide Familien war, dann mussten sich alle immer einigermaßen gut verstanden haben. Sie haben sich dann ja auch den Garten und die Nebengebäude mit den Tieren teilen müssen. Und die viele Arbeit dafür auch. Wohngemeinschaft würden wir heute dazu sagen.

Das Allein-Besitzen ab 1859 war sicher für Johann Joseph Flume und seiner Frau Martha Elisabeth mit ihren bald sieben Kindern ein Traum. Was aus den bis dahin mitbewohnenden Kauffmanns geworden ist, ist leider nicht bekannt. Aber die Beziehungen blieben offenbar gut: Die Flume-Tochter Dorothea Elisabeth heiratete später ja den Kauffmann-Sohn Joseph.

Möglicherweise waren die beiden Familien Kauffmann und Flume auch vorher schon verwandt. Die Oma von Johann Joseph Flume war eine Dorothea Elisabeth Kauffmann. Ob das eine tatsächliche Verwandtschaft ist, war nicht zu ermitteln.

Hier eine Übersicht über die Familien Kauffmann und Flume, soweit sie mit dem Haus verbunden waren:

Familie Flume und Familie Kauffmann mit Bezug zum Haus in Bodenrode

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert