Als Fernmeldemonteur-Lehrling bei Siemens

Mir, dem Ältesten, sagte mein Vater: „Ich kann dich nicht aufs Gymnasium schicken, dafür fehlt mir das Geld bei 4 Kindern. Aber es gibt ja einen zweiten Bildungsweg. Den solltest Du dann wählen.“ Für mich war das einsichtig, wir hatten damals wirklich wenig Geld, und so startete ich direkt nach dem Abschluss des „Praktischen Zweiges“ (so nannte man damals im Berlin die Hauptschule) mit 15 eine Lehre als Fernmeldemonteur bei Siemens in Berlin, zunächst in Siemensstadt, später in Gartenfeld und auf verschiedenen Baustellen in Berlin.

Im Siemens Gebäude 10 war der „Lehrsaal“. Foto: KhPape CC BY

Die Lehre begann in einem großen „Lehrsaal“ im Gebäude 10 im Wernerwerk in Siemensstadt. Etwa 200 Lehrlinge standen an endlos langen Werkbänken, aufgereiht an ihren Schraubstöcken und übten sich in vielfältigen Techniken der Metallbearbeitung. Einen Würfel rechtwinklig auf das vorgegebene Maß in 40 Stunden zu feilen, war die erste schwere Aufgabe für alle neuen Lehrlinge. Wer da zu viel feilte, musste neu beginnen. Diese „Ausschuss-Teile“ wurden vom Ausbilder demonstrativ mit einem großen Hammerschlag markiert und in den Metallschrott geworfen.

Überhaupt war Hierarchie das bestimmende Prinzip während meines ersten Lehrjahres 1966. Die Meister saßen im großen Lehrsaal auf einem etwa 20 cm hohen Podest, so dass sie alles auch im Sitzen überblicken konnten. Die Ansprache war militärisch klar und deutlich. Das Arbeitstag-Ende-Ritual war eher ein Appell: Alle Lehrlinge hatten neben ihren geöffneten Werkzeug-Schubkästen gerade zu stehen. Der Ausbilder kontrollierte, ob die Feilen gereinigt waren und kein Staub mehr im Kasten zu sehen war. Wenn doch, dann wurde der Kasten schon mal rausgezogen, und mit dem Fuß nachgetreten, damit der Betroffene sein Werkzeug mühsam unter den Werkbänken zusammen sammeln musste. Niemand durfte in den Feierabend gehen, bevor die Abnahme auch beim letzten zufriedenstellend erledigt war.

„Jeder von Euch hat seine ganze Arbeitskraft dem Unternehmen zur Verfügung zu stellen!“ Damit wurde uns Lehrlingen gleich zu Beginn der Lehre ganz klar gesagt, dass wir ohne Erlaubnis keine Abendschule besuchen dürfen. Das aber war mein Plan. Also bin ich während der Lehrzeit abends zur Berufsaufbauschule gegangen, ohne auch nur einmal im Dienst davon zu sprechen. Erst im 3. Lehrjahr habe ich von einem anderen Lehrling erfahren, dass er das auch tut – genauso heimlich. Lernen war nur unter Anleitung der Siemens-Ausbilder und der Berufsschullehrer gestattet. Das Berichtsheft sollte den wöchentlichen Lernfortschritt dokumentieren. Die Handschrift dort musste schräge Normschrift nach DIN 16 sein.

Ein Jahr lang ausschließlich intensive mechanische Ausbildung (feilen, bohren, drehen, fräsen, schmieden, härten), so wichtig erschienen damals diese Basisfertigkeiten für den ganzen Beruf. Nach dem ersten Jahr der mechanischen Ausbildung ging es dann in Gartenfeld weiter mit der „elektrischen Ausbildung“. Wir Fernmeldemonteur-Lehrlinge werden ja später recht selbständig auf Baustellen unterwegs sein, deshalb war hier der Ton nicht ganz so streng. Wir hatten deutlich mehr Freiheiten beim Gestalten unseres Arbeitstages. Es ging im Wesentlichen um das ordentliche Verdrahten von Fernmelde- und Fernsprechgeräten, und Fernsprechanlagen. Kabelbinden und Löten waren die Haupt-Tätigkeiten. Ja, wir haben mit gewachsten Garnen Drähte zu Kabeln zusammengebunden, die ihre Enden genau an den anzulötenden Stellen haben mussten. Legeschablonen wurden dafür mit Nägeln auf Holzbrettern angefertigt, in die dann die Drähte nach selbstgefertigtem Plan verlegt und anschließend gebunden wurden. Der Faden musste fest gezogen werden. Das gab fast immer Blasen am Zeigefinger. Und wehe, wenn man sich irrte, und ein Draht kam an der falschen Stelle raus. Dann musste aufgetrennt und neu gebunden werden. Sauber und ordentlich sollte es übrigens auch aussehen. Dafür war viel Übung – und viel Hornhaut – notwendig.

Mit gewachstem Faden gebundene Formkabel stellen die Verbindungen her. Bild: KhPape CC BY

Die anschließende Zeit auf Baustellen (Krankenhaus-Rufanlagen, Fernsprech-Vermittlungs-Gestelle, und viel Kabelverlegung) war dann entspannter. Mir ist noch gut eine Baustelle in Spandau in Erinnerung: Minus 10 Grad, Rohbau und kilometerweise Kabel mit Schellen mit Stahlnadeln zu verlegen. Der gefrorene Daumen wurde überdurchschnittlich oft getroffen. Aber für uns gab es keine Winterpause. Haupt-Tätigkeit auf Baustellen war aber Löten. Dazu musste man die Leitungsfarben und die Anordnung im Kabel gut beherrschen: Blau Gelb Grün Braun Schwarz war damals die Paar-Reihenfolge, wenn ich sie noch richtig in Erinnerung habe.

Jede Kabelader muss in der richtigen Reihenfolge am Verteiler aufgelegt sein. Bild: KhPape CC BY

Noch heute habe ich große Hochachtung vor so viel korrekter Arbeit vieler Kollegen damals. Jeder Draht musste ja am richtigen Platz sein, und das bei so vielen herzustellenden Verbindungen. Auch die Kabelbündel in Fernsprech-Vermittlungen wurden genau geplant und so verlegt, dass es möglichst keine Kabel-Kreuzungen gibt. Damit die Kabel-Pakete ordentlich zusammenbleiben, wurden auch die mit einer Kabelnadel und dem gewachsten Faden richtig gebunden. Kabelnähen haben wir dazu gesagt.

Gleich nach der Lehre – und mit dem Abschluss der Berufsaufbauschule (heute sagt man Fachoberschule dazu) – konnte ich dann mit dem Nachrichtentechnik-Studium beginnen. Um das zu finanzieren, habe ich als Fernmeldemonteur 20 Stunden in der Woche gearbeitet,  auf Baustellen für den Aufbau von Fernsprechanlagen.

Heute fällt mir auf, dass ich schon damals an Rahmenbedingungen für leichtere menschliche Kommunikation garbeitet habe. Damals war das Telefon die dafür hilfreiche Technik. Heute haben wir Zugang zu weit mehr Kommunikationsmöglichkeiten.

 

 

Dieser Beitrag steht unter der Creative Commons Lizenz CC BY international 4.0 und darf mit Namensnennung „KhPape“ oder „Karlheinz Pape“ beliebig verwendet werden.

 

 

 

 

Ergänzung am 24.07.2018:
Bei der Siemens-Pressestelle habe ich ein Bild des Lehrsaales im Gebäude 10, Wernerwerk in Siemensstadt gefunden. Einer von den vielen könnte ich gewesen sein:

Aufnahme aus den 1950er Jahren: Konzentriertes Arbeiten in der Lehrwerkstatt im Wernerwerk-Hochbau in Berlin. Bild: www.siemens.com/presse

 

11 Gedanken zu „Als Fernmeldemonteur-Lehrling bei Siemens“

  1. Prof. Dr.-Ing. Matthias Ehrich
    Berkenbusch 10
    23909 Ratzeburg
    Tel. 04541-82306

    Sehr geehrter Herr Pape, 11.12.23

    die Berichte auf Ihrer Webseite habe ich mit großem Interesse gelesen. Ich gehöre ebenfalls zur Schar der Siemens-Fernmeldelehrlinge in Berlin. Die Leitung der Lehr-
    werkstatt hatte damals – nach meiner Erinnerung – der Meister Kroll.

    Meine Lehrzeit begann am 1.4.54 und endete am 30.9.57. Dazu 2 Jahre lang Aufbau-
    lehrgang an der Berufsschule in der Grüntaler Straße im Wedding. Danach Gauß-Schule, Studium Nachrichtentechnik an der TU Berlin, Promotion als Externer in der ZN Berlin, 1-te Habilitation an der TUB, 2-te Habilitation an der RWTH Aachen, Pro-
    fessur an der FH Bielefeld, C4-Professur für Theoretische Elektrotechnik an der Uni-
    versität der Bundeswehr Hamburg.

    Die Lehrlingszeit bei Siemens hat mir auf meinem weiteren Weg in vieler Hinsicht sehr genützt, wurden uns doch außer den handwerklichen Fähigkeiten die Eigen-
    schaften vermittelt, die zu einem klassischen deutschen Menschen gehören und ihn befähigen, im Lebenskampf erfolgreich zu sein.

    Neben meinen theoretischen Arbeiten (Elektromagnetische Feldprobleme, Maxwell-
    Theorie) bin ich – jetzt 86 Jahre alt – mein ganzes Leben lang mit großer Freude Hand-
    werker geblieben. Dank der Siemens-Ausbildung konnte ich viele praktische Arbeiten
    – auf ganz verschiedenen Gebieten – selbst erledigen. Dafür bin ich der früheren Fa. Siemens sehr dankbar.

    Ein Hinweis noch: Unter einem Ihrer Bilder steht der Text „Mit gewachstem Faden gebundene Formkabel stellen die Verbindungen her“. Diese gewachsten Fäden waren verdrillt, braun und ziemlich dick, Ihr Bild zeigt jedoch Kunststoff-Abbinder.
    Mit den damals von uins verwendeten Abbindefäden entstanden Kabelbäume, die
    in sich sehr steif waren.

    Mit freundlichen Grüßen.
    Matthias Ehrich

  2. Hallo Herr Albrecht,
    meine Fernmelderausbildung begann am 1.4.1963 in der Schürmannstraße in Essen Süd. Den Würfel, den wir gefeilt haben, habe ich heute noch (jede gefeilte Fläche (jeweils schruppen, schlichten, feinschlichten) musste vom Ausbilder abgenommen werden, bevor die nächste Seite begonnen werden dürfte. Meister Henning, Ausbilder Förster und Tönnies haben diese Prozedur sehr genossen. Aber insgesamt war die handwerkliche Ausbildung schon sehr gut, von der man später oft – auch im privaten Bereich – profitieren konnte.

  3. Hallo Herr Pape,
    was ich da gelesen und gesehen habe , kommt mir doch sehr bekannt vor. Ich habe im September 1966 bei Siemens in Nürnberg meine Ausbildung als Fernmeldemonteur begonnen. Im 1.Lehrjahr nur mech. Ausbildung (feilen, drehen, fräsen hobeln, schmieden usw.). Im 2. LJ waren dann Kabelbäume dran bzw. Telefonanlagen (ReiHa) verkabeln und Fehler suchen, welche die Ausbilder uns eingebaut haben (Zapponlack war da gefürchtet). Im 3.LJ durften wir dann zusammen mit einem Gesellen auf diversen Baustellen Erfahrungen sammeln. Das 4 LJ stand dann ganz im Zeichen der Vorbereitung zur Gesellenprüfung.

    1. Hallo Herr Stanin,
      da haben wir ja im gleichen Jahr die gleiche Lehre beim gleichen Unternehmen begonnen, ich in Berlin und Sie in Nürnberg. Ich wohne heute in Erlangen – auch durch Siemens natürlich.
      Was mir dabei so richtig bewusst wird: Wie viel Know-How wir uns zu Relais und Wählern damals angeeignet haben, dass heute einerseits gar nicht mehr gefragt ist, und andererseits auch nicht mehr vorhanden ist. Irgendwie schade.

      1. Hallo Herr Pape,
        ja, das war schon jede Menge an Wissen das wir uns damals angeeignet haben. Ich war dann später in Fürth mit der Prüfung von Altanlagen (NeHa) bis hin zu den digitalen Endgeräten befasst. Später (ca. 1999) wurde die Abteilung dann aufgelöst und ich wurde dann der Bahntechnik in Erlangen zugeordnet. Ich war dann mit der Projektierung von Kommunikationssystemen für den ICE 3 befasst. Seit 2016 bin ich nun im Ruhestand. Mich hat es mittlerweile in den Norden von Deutschland nach Bergen (in der Nähe von Celle) verschlagen.
        Ja, es ist schade, dass das damalige Wissen heute nicht mehr gefragt ist. Aber der Fortschritt lässt sich nun mal nicht aufhalten.

  4. Hallo,
    danke für die nostalgischen Zeilen. 1971 bis 1974 bei Siemens in Bielefeld war eine schöne Zeit, und das Bauen, Binden und Löten von Drahtkabelformen hat Spaß gemacht. Dann ging es für mehrere Wochen nach Hannover, gewohnt haben wir im Lehrlingsheim Don Bosco. Eine tolle Zeit, leider mit zuviel Bier und Musik. Danach ging es weiter bis zum Dipl.-Ing.
    Das eine Jahr Metall-Grundausbildung, so wie die gesamte Lehre kommt mir seit Jahrzehnten immer wieder zugute.
    Schlimmste Erinnerung gefällig? Telefonleitung im heißen Sommer entlang der Dachkonstruktion verlegen, nein, nicht irgendo, sondern unter dem Dach der Landes-Tirkörperbeseitigung Bielefeld.

    1. Hallo Heinz,
      Danke für Deinen Kommentar! Ja, das Jahr Metall-Grundausbildung gab auch mir eine fürs ganze Leben wertvolle handwerkliche Grundbildung. Heute profitieren sogar noch die Enkel davon!
      Meine schlimmste Erinnerung war das Gegenteil: 1 Woche lang Kabel nageln in einem Neubau im Winter bei minus 15 Grad.

  5. Guten Morgen Herr Kollege der Siemens-Familie!!
    Am 01.04.1966 begann meine Ausbildung zum Fernmeldemonteur in der Lehrwerkstatt in Essen-Süd.
    Das Feilen ,Bohren, Fräsen, Drehen….. hat uns zu einem guten Handwerker gemacht und unser Leben
    positiv begleitet.
    Nach der Lehre war ich als Revisor in der Wartungsabteilung tätig. Von 1972- 1974 verbrachte ich 15 Monate bei der Bundeswehr. Von 1975-1977 besuchte ich die Fachoberschule und schloss dann mit der Fachhochschulreife ab.

    V.G. Norbert Albrecht

    1. Hallo Herr Albrecht,
      Da haben wir ja den gleichen Start-Tag als Fernmeldemonteuer-Lehrlinge, Sie in Essen und ich in Berlin. Mir ist beim Schreiben des Blogs so aufgefallen, dass wir ganz viel Wissen hatten über Relais-Schaltungen, magnetische Induktion und Gegeninduktion, …, das heute fast niemand mehr hat. Man findet auch kaum noch Museen, die solche Fernmeldeanlagen aufgebaut zeigen, obwohl es davon ja unzählige gab. So schnell ändert sich auch komplizierte Technologie komplett!
      Beste Grüße
      Karlheinz Pape

      1. Hallo Herr Pape,
        Ich danke herzlich für Ihre Antwort. Leider habe ich erst nach 4 Jahren den Block geöffnet. Mit meinen Kollegen aus den Ausbildungstagen habe ich leider keinen Kontakt. Ja. die magnetische Induktion hat uns in manchen Schaltungen sehr gefordert. Ich denke da an Induktivübertragungen zur Reichweitenerhöhung. Oder das Fritten von Übertragungen, um Kontakte mit Gleichstrom das Knistern im Sprechkreis zu verhindern.
        Ich denke wir haben von der Elektrotechnik schon einiges verstanden. Heute gibt es so viele schwarze Kästen die von außen beschaltet werden, ohne das der größte Teil weiß, was da passiert.
        Wenn ich eine HDW / EMD oder auch eine ESK Anlage vor mir hätte, würde es mir in den Fingern jucken loszulegen.
        Ich werde nun in ein paar Tagen 70 Jahre alt und kann nicht verstehen, warum es schon so spät geworden ist.
        Ich habe dann 36 Jahre bei E.ON verbracht.
        Beste Grüße
        Norbert Albrecht

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