Mein Opa Paul Pape
Ich bin sehr erstaunt, was mein Großvater in jungen Jahren alles gemacht hat, um sein Geld zu verdienen. Laufbursche, Diener, Kutscher, Hausdiener – das sind nur die in den Zeugnissen erwähnten Tätigkeiten. Vielleicht hatte er ja noch ganz andere Jobs von 1899 bis 1910 in Berlin.
Sein Arbeitsleben begann in einer schwierigen Zeit. Berlin hatte sehr viele Menschen angezogen, die alle arbeiten und wohnen wollten: Um 1849 gabe es 412.000 Einwohner, 1900 waren es bereits 1,89 Millionen! Die Konkurrenz war groß, deshalb musste man fast jeden Job annehmen, auch wenn es meist so wenig Geld dafür gab, dass man sich davon keine eigene Existenz leisten konnte. Paul konnte deshalb auch erst mit etwa 26 bei seinen Eltern ausziehen.
Wir können uns heute nur schwer vorstellen, was es bedeutete als Laufbursche, Diener oder Kutscher für „Herrschaften“ zu arbeiten. Das waren um 1900 Arbeitszeiten an 7 Tagen in der Woche und immer zu den Zeiten, die die Herrschaft jeweils einforderte. Man musste praktisch immer verfügbar sein. Hier wird das für Dienstmädchen ganz anschaulich beschrieben. Gern hätte ich von Paul selbst erfahren, wie das damals für ihn so war. An Freizeit konnte er ja kaum denken.
Mein Opa ist gestorben als ich 14 Jahre alt war. Also vor fast 60 Jahren. Damals hat mich seine Geschichte nie groß interessiert. Schade, denn er hätte mir ganz viel über sein ganz anderes Leben erzählen können. Auch seine Frau und seine Kinder kann ich jetzt nicht mehr befragen. Heute kann ich nur aus den wenigen noch vorhandenen Dokumenten etwas über ihn und sein Leben erfahren. Darin finden sich viele Fakten, aber keinerlei Empfindungen oder Einstellungen, die meinen Opa ausmachten.
Deshalb: Unterhalte Dich rechtzeitig mit den Deinen noch lebenden Vorfahren – und denen die sie kennen! Mach Dir Notizen. Irgenwann wirst Du sehr froh darüber sein.
Pauls erstes Dokument
Am Donnerstag, den 7. Januar 1886 wird Paul als zweiter Sohn von Anton und Marie Pape geboren. Seine Eltern wohnten damals in Berlin in der Landsberger Allee 49. Laut Geburtsurkunde ist Paul auch in dieser Wohnung nachmittags um sieben Uhr zur Welt gekommen. Die Geburtsurkunde wurde erst am 12. Januar 1886 ausgestellt, also ungewöhnliche 5 Tage später.
Paul als Schüler
Ein Schulzeugnis der 74. Gemeindeschule für Paul in der vierten Klasse vom Sommerhalbjahr 1894 zeigt durchschnittliche Bewertungen von Paul als Grundschüler, mit einigen ungewöhnlichen Beschreibungen, z.B.:
- Deutsch: ziemlich befriedigend
- Schreiben: fast befriedigend
- Sittliches Betragen: recht gut.
In dem Halbjahr wurde er auch zweimal mit “Nachbleiben” bestraft.
Ganz unten auf dem Zeugnis findet sich eine geschwungene sehr schön geschriebene Unterschrift seines Vaters Anton Pape. (Die Bezeichnung “Unterschrift des Vaters oder zur Erziehung Verpflichteten” blendete die Mutter damals völlig aus. Heute spricht man an der Stelle auch von „Erziehungsberechtigten“, was zmindest im Ausdruck ein weniger hierarchisches Verhältnis von Eltern zu Kindern andeutet.)

Die Klassen wurden in der Schule damals offensichtlich rückwärts numeriert. Pauls Zeugnis ein Jahr später, 1895 wurde für die 3. Klasse ausgestellt. Er wurde dann vermutlich in die 6. Klasse eingeschult.

Laut dem Berliner Adressbuch von 1894 war die 74. Gemeindeschule in der Pappelallee 30/31. Dort zu finden unter Kirchen und Schulen / Öffentliche Schulen / Gemeindeschulen auf Seite 130. Im Adressbuch wurden auch die Namen der wichtigen Personen vermerkt. Bei den höheren Schulen alle Lehrer-Namen, übrigens hierarchisch angeordent: Direktor, dann Oberlehrer, dann ordentliche Lehrer, dann Lehrerinnen.In den Gemeindeschulen wird nur noch der Rektor genannt.

Bild: KhPape CC BY Das war 1849 die 74. Gemeindeschule von Paul in der Pappelallee 30/31. Mit Gerüst im April 2025.
Erster Job mit 13 Jahren
“Paul Pape war vom 8. Mai 1899 bis zum 31. März 1900 bei mir in Stellung und hat sich durch Zuverlässigkeit und Fleiß meine volle Zufriedenheit erworben.” Das schreibt der Inhaber C. Kaas im Zeugnis der “Drogenhandlung C. von Klinkowström in der Berliner Wilhelmstrasse 33. Was der junge Paul dort getan hat, steht leider nicht in dem Dokument.
Die Wilhelmstraße war damals eine sehr edle Straße mit Botschaften und kaiserlichen Behörden. Die Geschäfte lebten dort von wohlhabenden Kunden. Die Häuser in denen Paul in der Wilhelmstraße arbeitete, sind heute leider nicht mehr vorhanden.
Auch wenn es heute eigenartig klingt, eine Drogenhandlung war damals eine Mischung aus Drogerie und Apotheke wo Arzneimittel, Heilkräuter, Gewürze und Chemikalien verkauft wurden. Paul hat also in einem legalen Geschäft gearbeitet.

Konfirmation mit 14 in der Gethsemane-Kirche
Im Jahr 1900 wurde Paul in Berlin konfirmiert. Welche Rolle Religion und Kirche in seinem Leben spielte, ist mir leider gar nicht bekannt.


1901 bis 1903: “… ein durchaus anständiger und brauchbarer junger Mann”
Das nächste erhaltene Zeugnis kommt wieder von einem Geschäft aus der gleichen Branche. Die C. W. Barenthin, G. m. b. H. bestätigt am 1. Oktober 1903:
“Paul Pape war vom 1. Februar 1901 bis heute zunächst als Laufbursche und später als Packer in Diensten der unterzeichneten Firma und hat sich während dieser Zeit als ein durchaus anständiger und brauchbarer junger Mann bewährt, dem wir für seine Zukunft alles Gute wünschen.”
Im Firmenkopf heißt es:
“CENTRAL- GESCHÄFT FÜR SÄMTLICHE APOTHEKER – BEDARFSARTIKEL, PHARMACEUTISCHE PRÄPARATE
Deutsche, englische und französische Specialitäten etc. / Beste Bezugsquelle für alle medicinischen Neuheiten.”
Das Geschäft war auch in der Berliner Wilhelmstrasse, ein paar Häuser weiter, diesmal in Nr. 55.

Paul hat diesen Job mit 15 Jahren angefangen.
1903: Sieben Monate Diener und Kutscher
Der Freiherr von der Horst hat den 17jährigen Paul vom 1. Oktober 1903 bis zum 1. Mai 1904 als Diener und Kutscher eingestellt. “Er ist arbeitsam und zuverlässig und nüchtern” heißt es im Zeugnis. Und das er den Dienst auf eigenen Wunsch verläßt.

Auch das Haus in der Siemensstraße – heute in Berlin Steglitz – ist leider nicht mehr vorhanden. Interessanter Zufall: Ich habe bis 1981 in dieser Siemensstraße Nr. 26 gewohnt.
1904: Drei Monate in Fabrik für Luxus-Papiere und Fotopapiere
“Dass der Arbeiter Paul Pape vom 17. Mai 1904 bis zum 27. August 1904 in unserer Fabrik beschäftigt gewesen ist wird hiermit bescheinigt. CARL ERNST &Co Aktiengesellschaft – LUXUSPAPIER-FABRIK für PHOTOGRAPHIE, Rungestr. 19.”
Drei Monate hat Paul im Sommer 1904 gearbeitet. In welcher Funktion ist leider nicht überliefert.


1904: Sieben Monate im Mehl- und Colonialwaren-Versand-Geschäft
“Paul Pape, geboren zu Berlin war in unserem Colonialwaren-Geschäft Weinbergsweg 8, vom 2ten September 1904 bis 31. März 1905 als Hausdiener beschäftigt. Derselbe hat seine Arbeiten zu unserer Zufriedenheit ausgeführt. Betreffs Ehrlichkeit ist uns Nachtheiliges nicht bekannt. Franz Klawe & Co”
Als Hausdiener wird Paul diesmal bezeichnet. Wir würden heute von ganz normalen Angestellten in einem Geschäft sprechen. Kunden bedienen, Waren verpacken, Waren einlagern, Waren ausliefern – das waren damals typische Hausdiener-Tätigkeiten in Geschäften.

Das haus Weinbergsweg 8 ist auch nciht mehr vorhanden. Heute stehen dort moderne Wohnblöcke.
1905: Wieder für sechs Monate bei C.W. Barenthin
“Hierdurch bestätigen wir, daß der Hausdiener Paul Pape vom 3 April 05 bis zum 19. Oktobor 05. in uns. Betrieben als solcher beschäftigt war. Sein Austritt erfolgte auf seinen Wunsch & sind wir mit seinen Leistungen zufrieden gewesen. C.W. Barenthin”
Wieder wurde Paul als Hausdiener geführt.

1905: Zweieinhalb Monate Postfuhrwerk-Kutscher
Am 2. Januar 1906 bestätigt die Fa. Reinhold Mask:
“Ich bescheinige hiermit das der Kutscher Paul Pape vom 16 Oktober bis Ende Dezember Postfurwerk (unleserlich) zu meiner größten Zufriedenheit ausgeführt.
Achtungsvoll Fr. Maskes Ww. Pappel Allee 28/29
Paul hat sein Geld wieder als Kutscher verdient.



1906: Als 20jähriger 24 Monate Militärdienst
Die Versicherungs-Bestätigung für Pauls “militärische Dienstleistungen” – gemeint ist sicher sein Grund-Wehrdienst – vom 11.10.1906 bis zum 21.9.1908 hat ihm das 97. Polizeirevier in Berlin ausgestellt.


Paul war – zumindest 1908 – in Gumbinnen, Ostpreußen stationiert. Das ist einer Postkarte von seinem Bruder Max zu entnehmen. Die hat er am nach der silbernen Hochzeit seiner Eltern am 16.4.1908 an Paul über Herrn Hauptmann Bokelberg in Gumbinnen gesandt. Auf dem Postkarten Foto ist die ganze Familie zu sehen, nur ohne Paul.


1910: Als 24jähriger war Paul Postbotenanwärter
Wieder gibt uns eine Quittungskarte für die Versicherungsanstalt Berlin den Hinweis auf seine Tätigkeit im Jahr 1910. Danach wohnt Paul auch noch immer in der Stargarder Straße 17, bei seinen Eltern Anton und Marie Pape.

Übersicht zu Pauls Berufstätigkeit bis er 24 war

Es ist anzunehmen, dass Paul auch in den hier gezeigten Lücken gearbeitet hat. Es liegen mir dafür nur keine Informationen vor. Wohl gleich nach der Schulzeit musste Paul als 13jähriger schon die erste Stelle annehmen. Das eine Jahr in der “Drogenhandlung” war ganz sicher nicht als Berufsausbildung gestaltet. So hat er sich bei verschiedenen Arbeitgebern immer wieder aufs Neue für einfache Arbeiten bewerben müssen.
Diese Jobs waren damals nicht gut bezahlt und forderten sehr lange Arbeitszeiten, auch Samstags und Sonntags
Ich habe die Perplexity-KI gebeten, mir eine Auswertung zu Arbeitszeiten um 1902 zu geben:

“Freizeit” war da praktisch nicht vorgesehen. Und von dem Geld konnte man auch keine Wohnung mieten und eine Familie ernähren. Wieder hat mir Perplexity eine Auswertung der Verdienste um 1900 In Berlin erstellt:

Das Paul immer wieder versuchte als Kutscher zu arbeiten, versteht man bei den Verdienst-Unterschieden. Aber offenbar war das gar nicht so leicht, so einen Job lange zu behalten.
Ich habe jedenfalls schon jetzt große Hochachtung vor der Leistung meines Großvaters. Es war ganz sicher nicht leicht um 1900 als junger Mann Arbeit zu finden – und zu behalten. Zudem war die Arbeit damals offenbar auch zeitlich sehr fordernd. Es gab ja eigentlich nur das Arbeitsleben, sieben Tage die Woche. Und das auch noch in sehr hierarchisch geprägtem Umfeld.
Schade, dass mein Opa mir darüber nicht mehr berichten kann.
